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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 26.10.2000
Aktenzeichen: 8 UE 1054/00
Rechtsgebiete: HGO


Vorschriften:

HGO § 60 Abs. 2
HGO § 56 Abs. 2
HGO § 57 Abs. 1 S. 3
HGO § 58 Abs. 4 S. 1
Mit der "nächsten Sitzung" im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGO ist diejenige Sitzung der Gemeindevertretung gemeint, die dem Sitzungsausschluss, der nach § 60 Abs. 2 Satz 1 HGO angeordnet wurde, nachfolgt.

Hat ein Gemeindevertreter nicht die ihm durch § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO gewährte Möglichkeit genutzt, bis zur nächsten Sitzung der Gemeindevertretung gegen den Sitzungsausschluss eine Entscheidung der Gemeindevertretung herbeizuführen, so ist der Sitzungsausschluss wirksam. Eine Rechtswidrigkeit des Sitzungsausschlusses kann in einem derartigen Fall auch nicht mehr in anderen Verfahren - etwa Verfahren betreffend die Anfechtung von Wahlen, die die Gemeindevertretung nach dem Sitzungsausschluss vorgenommen hat - mit Erfolg geltend gemacht werden.


Tatbestand:

Die Kläger - bis auf eine Klägerin Mitglieder der Fraktion Die Republikaner in der beklagten Stadtverordnetenversammlung - verlangen die Feststellung, dass die Wahlen des Stadtverordnetenvorstehers und des Präsidiums in der Sitzung der Beklagten vom 17. April 1997 ungültig sind, weil sie, die Kläger, zu Unrecht von der Sitzung der Beklagten, in der diese Wahlen stattfanden, ausgeschlossen worden seien.

Die Kläger sind aufgrund der 1997 durchgeführten Kommunalwahlen zu Stadtverordneten der Stadt Frankfurt am Main gewählt worden. Bis auf die Klägerin zu 5. üben sie dieses Amt auch zur Zeit aus. Die Klägerin zu 5. ist inzwischen Stadträtin.

Mit Schreiben vom 8. April 1997, gerichtet an das Büro der Beklagten, schlug der Geschäftsführer K. für die Fraktion Die Republikaner vor, alle fünf im Parlament vertretenen Parteien sollten zumindest zwei Plätze in der ersten Reihe erhalten. Es werde kein Vorschlag akzeptiert, der vorsehe, die Republikaner als einzige Fraktion auf hintere Sitzplätze zu verdrängen oder gar hinter der FDP zu platzieren. Da die Fraktion für eine einvernehmliche Erstellung der Sitzordnung plädiere, bitte sie, die Angelegenheit im Vorfeld der konstituierenden Sitzung zu klären. Nachdem die Fraktion hierauf keine Antwort erhalten hatte, beantragte sie mit Schreiben vom 15. April 1997 bei der Beklagten, eine in einer beigefügten Skizze niedergelegte Sitzordnung zu verabschieden.

Am 17. April 1997 fand die konstituierende Plenarsitzung der beklagten Stadtverordnetenversammlung statt. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main eröffnete die Sitzung und teilte mit, als Einladende habe sie entsprechend den §§ 53 bis 56 der Hessischen Gemeindeordnung über eine vorläufige Sitzordnung verfügt, die den Stadtverordneten schriftlich auf ihren Plätzen zur Kenntnis gebracht sei. Diese Sitzordnung entsprach den Festlegungen der Wahlperiode 1993-1997. In dieser Zeit hatte die Fraktion der Republikaner die gleichen Plätze inne, die ihnen auch bei der konstituierenden Sitzung zugewiesen wurden. Die Plätze der FDP-Fraktion entsprachen denen, die die Fraktion bis zu ihrem Ausscheiden aus der Stadtverordnetenversammlung belegt hatte.

Die Oberbürgermeisterin bat die Stadtverordneten, die Sitzordnung zu befolgen. Sie wandte sich direkt an die gewählten Mitglieder der Republikaner-Fraktion und verlangte, diese sollten dem schriftlichen Sitzplan gemäß die Plätze der CDU-Fraktion räumen und die ihnen zugewiesenen Plätze einnehmen. Die Sitzordnung des Stadtparlaments in der jetzigen Form sei von den Fraktionen so vorberaten worden. Die Mitglieder der Fraktion der Republikaner seien über diese Sitzordnung informiert. Nachdem diese den Vorschlag nicht befolgt hatten, ließ die Oberbürgermeisterin darüber abstimmen. Die von der Oberbürgermeisterin vorgeschlagene Sitzordnung wurde mit den Stimmen der CDU, SPD, Grünen und FDP "unter Nichtteilnahme der Fraktion der Republikaner so beschlossen" (vgl. das Wortprotokoll über die konstituierende Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, dem 17. April 1997). Erneut bat die Oberbürgermeisterin die Mitglieder der Fraktion der Republikaner darum, ihre Plätze zu verlassen und die ihnen zugewiesenen Plätze einzunehmen. Als dies nicht geschah, unterbrach die Oberbürgermeisterin die Sitzung und bat das Büro der Beklagten, dem Sitzungsvorschlag der Oberbürgermeisterin zu folgen und die beschlossene Sitzordnung umzusetzen. Nach Unterbrechung der Beratungen von 16.26 Uhr bis 16.57 Uhr und Wiedereintritt in die Sitzung stellte die Oberbürgermeisterin fest, dass die Fraktion der Republikaner dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung nicht gefolgt sei. Die Oberbürgermeisterin verlas daraufhin § 60 Abs. 2 HGO, wonach bei ungebührlichem oder wiederholtem ordnungswidrigem Verhalten der Vorsitzende ein Mitglied der Gemeindevertretung für einen oder mehrere, höchstens drei Sitzungstage ausschließen kann. Die Oberbürgermeisterin forderte sodann die Mitglieder der Fraktion der Republikaner namentlich dreimal auf, die Plätze der CDU-Fraktion zu verlassen und die ihnen zugewiesenen Plätze auf der rechten Seite des Sitzungssaales einzunehmen. Als dies nicht geschah, schloss die Oberbürgermeisterin gemäß § 60 Abs. 2 HGO die Mitglieder der Fraktion der Republikaner von der Sitzung des 17. April 1997 aus, was laut Sitzungsprotokoll mit "Beifall" bedacht wurde. Nach einem Hinweis auf den Hausfriedensbruch-Paragraphen des Strafgesetzbuches und der erneuten Bitte, den Sitzungssaal zu verlassen, unterbrach die Oberbürgermeisterin die Beratungen von 17.00 Uhr bis 17.05 Uhr. Die Mitglieder der Fraktion der Republikaner verließen den Raum. Vor dem Sitzungsraum standen Polizisten. An der weiteren Sitzung nahmen die Mitglieder der Fraktion der Republikaner nicht teil. Unter den Ausgeschlossenen befand sich auch der Kläger zu 4., das an Jahren älteste Mitglied der Beklagten.

Zu Punkt 2 der Tagesordnung "Feststellung der Alterspräsidentin" erklärte die Oberbürgermeisterin, nach den Unterlagen sei Frau F. das an Jahren älteste Mitglied des Hauses. Frau F. übernahm sodann als Alterspräsidentin die weitere Leitung der Sitzung. Anschließend wurde der Stadtverordnete M. (CDU) zum Stadtverordnetenvorsteher gewählt, unter dessen Sitzungsleitung die Wahl des Präsidiums (drei stellvertretende Stadtverordnetenvorsteher/-vorsteherinnen, fünf Beisitzer/Beisitzerinnen und fünf Schriftführer/Schriftführerinnen) stattfand.

Am 15. Mai 1997 wurde die Sitzordnung durch die Stadtverordnetenversammlung so beschlossen, wie sie bereits für die konstituierende Sitzung durch die Oberbürgermeisterin vorgesehen war. Die Widersprüche, unter anderem der Kläger des vorliegenden Verfahrens, gegen die Gültigkeit sämtlicher in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 17. April 1997 durchgeführter Wahlen vom 5. Mai 1997, eingegangen bei der Beklagten am 7. Mai 1997, wurden von der Beklagten mit Beschluss vom 15. Mai 1997 zurückgewiesen. Dementsprechend erhielten die Kläger unter dem 4. Juni 1997 Widerspruchsbescheide.

Die Kläger haben gegen den Ausschluss nicht die Entscheidung der Beklagten angerufen.

Am 10. Juni 1997 haben die Kläger und ein inzwischen verstorbener Kläger Klage erhoben und vorgetragen, für die Zuweisung der Plätze durch die Oberbürgermeisterin gebe es keine Rechtsgrundlage. Gemäß § 56 HGO lade sie lediglich zur ersten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung ein und eröffne diese. Nur so lange übe sie das Hausrecht aus. Danach leite das älteste Mitglied der Stadtverordnetenversammlung die Sitzung. Zu einem Ausschluss für die Dauer der gesamten Sitzung sei die Oberbürgermeisterin nicht berechtigt gewesen. Die Maßnahme widerspreche auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, denn selbst dann, wenn die Stadtverordneten der Fraktion der Republikaner bis zur Wahl des Stadtverordnetenvorstehers auf falschen Plätzen gesessen hätten, wäre der Schaden unvergleichlich geringer als er es dadurch gewesen sei, dass gewählten Stadtverordneten die Ausübung ihrer Pflichten unmöglich gemacht worden sei. Die Kläger seien durch diesen Ausschluss daran gehindert worden, für eine der zu wählenden Positionen zu kandidieren, mit Wortbeiträgen für oder gegen die Wahl einzelner Kandidaten zu argumentieren und letztlich ihre eigene Wahlentscheidung zu treffen. Die Beklagte selbst habe erklärt, dass die Festlegung der Sitzordnung ausschließlich in der Kompetenz der Stadtverordnetenversammlung liege. Da diese erst nach ihrer Konstituierung, d. h. nach der Wahl ihres Vorsitzenden, handlungsfähig sei, habe sie auch nicht über den Vorschlag der Oberbürgermeisterin beschließen können. Daraus, dass die Beklagte noch nicht habe beschließen können, ergebe sich, dass die Oberbürgermeisterin die Sitzordnung eigenmächtig durchgesetzt und damit in die Regelungskompetenz der Beklagten eingegriffen habe. Der mit der Missachtung der Sitzordnung begründete Ausschluss aus der Sitzung sei daher rechtswidrig gewesen. Aufgrund dieser Mängel seien die in der Stadtverordnetensitzung vom 17. April 1997 durchgeführten Wahlen für ungültig zu erklären. Die HGO weise der Oberbürgermeisterin nur die Aufgabe zu, das an Jahren älteste Mitglied festzustellen. Sie dürfe keine Anträge zur Abstimmung stellen, auch keine "vorläufigen" Anträge.

Die Kläger haben beantragt

festzustellen, dass die Wahl des Stadtverordnetenvorstehers und die Wahl des Präsidiums in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 17. April 1997 ungültig sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die konstituierende Sitzung sei rechtlich korrekt verlaufen. Vor dem Hintergrund des Verhaltens der Kläger erweise sich die von der Oberbürgermeisterin ergriffene Ordnungsmaßnahme als rechtmäßig. Bis zu dem Zeitpunkt der Übergabe des Vorsitzes an das älteste Mitglied nehme die Oberbürgermeisterin die Aufgaben eines Vorsitzenden hilfsweise wahr. Sie sei berechtigt gewesen, für den Zeitraum der Wahrnehmung dieser Funktion eine vorläufige Sitzordnung festzulegen und über diese auch abstimmen zu lassen, um einen geordneten Ablauf der Sitzung unter ihrem Vorsitz sicherzustellen. Als Interimsvorsitzende stehe ihr auch das Haus- und Ordnungsrecht zu, so dass sie hiervon im Rahmen der Ordnungsmittel des § 60 Abs. 2 HGO habe Gebrauch machen können. Durch ihr Verhalten hätten die Kläger nicht nur bekundet, die korrekt festgelegte vorläufige Sitzordnung nicht zu respektieren, sondern auch die ordnungsgemäße Durchführung der Sitzung mit der Feststellung der Beschlussfähigkeit und des Alterspräsidenten verhindert. Dieses Verhalten stelle eine gravierende Störung der Sitzungsordnung dar. Angesichts der Schwere und der Beharrlichkeit, mit denen die Kläger die Entscheidung und die Befugnisse der Oberbürgermeisterin missachtet hätten, habe das gewählte Mittel eines Ausschlusses für den weiteren Verlauf der Sitzung sich als das Gebotene dargestellt. Ohne den Ausschluss der Kläger sei der ordnungsgemäße Verlauf der Sitzung nicht gewährleistet gewesen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 28. Januar 2000 der Klage stattgegeben und festgestellt, dass die Wahl des Stadtverordnetenvorstehers und die Wahl des Präsidiums in der Sitzung der Beklagten vom 17. April 1997 ungültig seien. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, den vorbezeichneten Wahlen hafte ein schwerwiegender Mangel an. Er liege darin, dass die Kläger rechtswidrig von der Teilnahme an der konstituierenden Sitzung der Beklagten ausgeschlossen gewesen seien. Die Oberbürgermeisterin sei nicht befugt gewesen, eine vorläufige Sitzordnung zu verfügen, sie der Beklagten zur Beschlussfassung vorzulegen und die Kläger wegen deren Nichtbefolgung von der laufenden Sitzung auszuschließen. Für die getroffenen Maßnahmen habe es an einer gesetzlichen Grundlage gefehlt. Die Befugnisse der Oberbürgermeisterin hätten sich darauf beschränkt, die konstituierende Sitzung der Beklagten vorzubereiten, sie zu eröffnen, das an Jahren älteste Mitglied dieses Gremiums festzustellen und ihm die Sitzungsleitung zu übertragen. Um dieser Aufgabe nachzukommen, habe es keiner vorläufigen Sitzordnung bedurft. Die Feststellung des Altersvorsitzenden habe keinerlei Aufwand erfordert und praktisch innerhalb weniger Sekunden abgewickelt werden können. Die von der Oberbürgermeisterin verfügte vorläufige Sitzordnung habe auch nicht dadurch Gültigkeit erlangt, dass sie von der Beklagten bestätigt worden sei, denn die Beklagte sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht handlungsfähig gewesen. Ordnungsmaßnahmen dürfe die Oberbürgermeisterin lediglich zur Ahndung und Überwindung solcher Zuwiderhandlungen ergreifen, die eine Feststellung des Altersvorsitzenden und seiner Amtsübernahme entgegenstünden. Diese Amtshandlungen hätte die Oberbürgermeisterin vornehmen können, obwohl die Kläger die im Übrigen ungültige Sitzordnung nicht beachtet hätten. Der Ausschluss sämtlicher Mitglieder der Republikaner-Fraktion habe in eklatanter Weise gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Die beharrliche Weigerung, die vorläufige Sitzordnung zu befolgen, habe im Hinblick auf die einschneidenden Folgen die Verhängung der getroffenen Sanktion nicht gerechtfertigt. Die Kläger müssten sich auch nicht vorhalten lassen, dass sie es versäumt hätten, gegen ihren Sitzungsausschluss gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung anzurufen, weil dies weder erfolgversprechend noch nach den Umständen zumutbar gewesen sei. Im Zeitpunkt des Ausschlusses hätte die Beklagte ohnehin noch keine wirksame Entscheidung treffen können, weil sie nicht handlungsfähig gewesen sei. Auch hätten die übrigen Mitglieder der Beklagten durch ihre Beifallsbekundung deutlich gemacht, dass sie hinter der Entscheidung der Oberbürgermeisterin gestanden hätten. Bei dieser Sachlage und angesichts der Polizeipräsenz im Umfeld des Sitzungssaales erscheine es dem Gericht verständlich, dass die Kläger ihr Anliegen in der Stadtverordnetenversammlung nicht zur Geltung gebracht hätten.

Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren betreffend den verstorbenen Kläger mit Beschluss vom 01. Februar 2000 abgetrennt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde der Beklagten am 17. Februar 2000 zugestellt. Auf den am 8. März 2000 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Antrag hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 20. März 2000, zugestellt am 28. März 2000, zugelassen.

Am 25. April 2000 hat die Beklagte die zugelassene Berufung begründet.

Die Beklagte trägt vor, die Klage sei unzulässig, denn es fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Die Kläger hätten die Möglichkeit gehabt, gegen die Entscheidung der Oberbürgermeisterin über den Ausschluss aus der konstituierenden Sitzung gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung herbeizuführen. Unerheblich sei auch, dass die übrigen Stadtverordneten der Entscheidung der Oberbürgermeisterin zugestimmt hätten. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte nach den unter Ausschluss der Kläger erfolgten Wahlen die Kläger wieder zur Teilnahme an der Sitzung zugelassen und die Wahlen wiederholt hätte. Bereits deshalb sei die Anrufung der Stadtverordnetenversammlung zumutbar gewesen. Es gebe keinen Hinweis dafür, dass die Polizeibeamten eingesetzt worden wären, um zu verhindern, dass die Kläger den Sitzungssaal mit dem Zweck betreten hätten, gegen ihren Ausschluss die Stadtverordnetenversammlung anzurufen. Schließlich seien außerhalb des Sitzungssaales mehrere Bedienstete der Stadt Frankfurt am Main anwesend gewesen, die in dem Büro der Beklagten tätig und den Klägern bekannt seien. Diese Personen hätten von den Klägern angesprochen werden können mit dem Ziel, den Sitzungssaal wieder zu betreten, um das Recht aus § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO in Anspruch zu nehmen. Es bestehe nicht der geringste vernünftige Zweifel daran, dass dieses Anliegen von den Bediensteten aufgenommen und weitergeleitet worden wäre. Das Gleiche gelte für die den Klägern zumutbare Möglichkeit, über diese Mitarbeiter einen schriftlichen Antrag nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO zu stellen, ohne hierfür den Versuch machen zu müssen, den Saal zu betreten.

Die Klage sei auch unbegründet, denn die Oberbürgermeisterin sei nach § 58 Abs. 4 analog i.V.m. §§ 56 Abs. 2, 57 Abs. 1 HGO befugt gewesen, eine vorläufige Sitzordnung zu verfügen. Sie lade zur ersten Sitzung nach der Wahl, eröffne diese Sitzung, ermittele den "Altersvorsitzenden" und übergebe ihm den Vorsitz. Zu ihren Befugnissen gehöre auch die Feststellung der Beschlussfähigkeit gemäß § 53 Abs. 1 HGO. Sie dürfe alle die Sitzungsleitung umfassenden Maßnahmen ergreifen, die für einen dem Ansehen des Hauses entsprechenden würdigen und ruhigen Ablauf der konstituierenden Sitzung erforderlich seien. Mithin sei sie auch befugt gewesen, eine vorläufige Sitzordnung zu erlassen, da dies die einzige Möglichkeit gewesen sei zu verhindern, dass von dem Zeitpunkt der Eröffnung an ein Gerangel und Streit um die vorhandenen Sitzplätze einsetzte mit der Konsequenz, dass es ihr nicht möglich gewesen wäre, ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen. Die Stadtverordnetenversammlung sei auch zu dem von der Oberbürgermeisterin gewählten Zeitpunkt berechtigt gewesen, eine Sitzordnung zu verabschieden. Bei Verneinung der entsprechenden Kompetenz der Oberbürgermeisterin müssten jedenfalls die anwesenden Stadtverordneten bis zur Konstituierung berechtigt sein, im Wege eines Aktes der Selbstorganisation gemäß § 60 Abs. 1 HGO analog eine entsprechende vorläufige Ordnung festzulegen, um nicht nur mögliche, sondern auch tatsächliche Auseinandersetzungen über Sitzplätze auszuschließen und damit einen ordnungsgemäßen Sitzungsablauf sicherzustellen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts müsse dem jeweiligen die Sitzung Leitenden jede Befugnis zustehen, die dem gewählten Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung nach §§ 58 Abs. 4, 60 Abs. 2 HGO zukomme. Auch sei der Ausschluss sämtlicher Kläger nicht wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtsfehlerhaft gewesen. § 60 Abs. 2 Satz 1 HGO ermögliche als Mindestmaßnahme den Ausschluss für einen Sitzungstag. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass alle Kläger der Ordnungsmaßnahme unterworfen worden seien, denn alle Kläger hätten in gleicher Weise gehandelt.

Es habe nach den Ermittlungen der Beklagten am Tag der konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 17. April 1997 kein Polizeieinsatz stattgefunden, wenn es auch sein könne, dass Polizeibeamte oder sonstige Ordnungskräfte sich vor dem Sitzungssaal aufgehalten hätten. Jedenfalls hätten sich, soweit die Beklagte dies habe ermitteln können, im Sitzungsraum keine Polizeibeamten aufgehalten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Januar 2000 abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor, sie hätten das mildere Mittel der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung weder aus tatsächlichen Gründen nutzen können noch seien sie dazu verpflichtet gewesen. Einerseits habe die Beklagte bereits vor ihrer Konstituierung auf Veranlassung der Oberbürgermeisterin Entscheidungen getroffen, obwohl die Beklagte noch nicht handlungsfähig gewesen sei. Andererseits sei die Oberbürgermeisterin nicht berechtigt gewesen, eine so weitreichende Maßnahme zu treffen. Die Anrufung der Stadtverordnetenversammlung hätte - folge man der Auffassung der Beklagten - exakt nach der Feststellung des Alterspräsidenten und vor Eintritt in die Tagesordnung erfolgen müssen, um eine Teilnahme an den Wahlen zu ermöglichen. Da die Kläger aber zu diesem Zeitpunkt nicht im Saal gewesen seien und nicht die Möglichkeit gehabt hätten, das Geschehen im Saal zu verfolgen, sei bereits aus rein tatsächlichen Gründen die Durchführung des Verfahrens nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO in analoger Anwendung auf den Zeitraum vor der Konstituierung nicht möglich. Die von der Beklagten vorgetragene Möglichkeit, zufällig anwesende Mitarbeiter der Stadtverwaltung zu Botendiensten heranzuziehen, sei mit dem in § 35 HGO normierten Grundsatz des freien Mandats nicht vereinbar. Das Verfahren nach § 60 Abs. 2 HGO setze voraus, dass die Stadtverordnetenversammlung konstituiert sei. Das Widerspruchsverfahren hätte daher erst nach der Wahl des Stadtverordnetenvorstehers durchgeführt werden können. Somit sei auch mit der Anrufung der Stadtverordnetenversammlung keine vor der Wahl des Stadtverordnetenvorstehers mögliche Korrekturchance hinsichtlich der Entscheidung der Oberbürgermeisterin gegeben gewesen. Eine analoge Anwendung des Verfahrens gemäß § 60 Abs. 2 HGO auf den Zeitraum vor der Konstituierung wäre aus den oben genannten Gründen tatsächlich unmöglich gewesen. Die Beklagte spreche von einer automatischen Wahlwiederholung für den Fall, dass der Ausschluss aufgehoben worden wäre. Für die Anfechtung von Wahlen sehe die HGO aber das von den Klägern gewählte Verfahren gemäß § 55 Abs. 6 HGO vor. Im Übrigen seien die Polizeibeamten nicht zur Erörterung von Rechtsfragen eingesetzt gewesen, sondern zur Durchsetzung der von der Oberbürgermeisterin verhängten Sitzungsausschlüsse. Die Beklagte könne nicht unterstellen, dass den Polizeibeamten das Verfahren nach § 60 Abs. 2 HGO geläufig gewesen sei.

Das Verfahren nach § 60 Abs. 2 HGO ersetze das Verfahren nach § 55 Abs. 6 HGO nicht und müsse auch nicht vorrangig durchgeführt werden. Da zuerst Wahlen hätten durchgeführt werden müssen, sei das Verfahren nach § 55 Abs. 6 HGO unmittelbar anzuwenden. Der Oberbürgermeisterin sei als Maßnahme nicht nur der Sitzungsausschluss geblieben. Vielmehr sei eine Fülle anderer Reaktionen möglich gewesen. Eine der Möglichkeiten sei gewesen, sich auf die Aufgabe zu beschränken, das an Jahren älteste Mitglied festzustellen und die Sitzungsleitung an dieses zu übertragen.

Der Ausschluss sei auch nicht erforderlich gewesen, damit die Oberbürgermeisterin ihre Aufgaben im Rahmen der ersten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung habe erfüllen können. Das Rechtsschutzbedürfnis sei daher gegeben, denn die Kläger seien zu Unrecht an der Ausübung ihrer Rechte gehindert worden.

Die Klage sei auch begründet. Die Oberbürgermeisterin sei durch das Verhalten der Kläger nicht an der Erfüllung ihrer Aufgaben gehindert gewesen. In wenigen Sekunden hätte der Altersvorsitzende festgestellt und die Sitzungsleitung an ihn übergeben werden können. Dem Argument, der Ausschluss habe der Sicherstellung eines würdigen Ablaufs der Sitzung gedient, widerspreche es, dass gerade besonders würdevolle parlamentarische Akte wie Vereidigungen nicht im Sitzen, sondern stehend vollzogen würden. Dass ein Gerangel um Sitzplätze eingesetzt hätte, sei eine unbewiesene Behauptung der Beklagten. Die Beklagte lege nicht dar, inwieweit die Oberbürgermeisterin tatsächlich durch die vorgetragene Unruhe an der Ausübung ihrer Pflichten gehindert gewesen sei. Es werde auch nicht vorgetragen, dass Mitglieder der Beklagten an der Ausübung ihrer Rechte gehindert worden seien. Die Stadtverordnetenversammlung sei noch nicht handlungsfähig gewesen und habe daher auch noch nichts festlegen können. Das Verwaltungsgericht stelle zutreffend fest, dass die Oberbürgermeisterin nicht befugt gewesen sei, die Kläger für den gesamten Sitzungstag auszuschließen. Wenn man einen Ausschluss an sich für zulässig hielte, wäre nur ein Ausschluss bis zur Übertragung der Sitzungsleitung an den Altersvorsitzenden erforderlich gewesen. Ein Ausschluss komme nur für die Dauer der Sitzungsleitung der Oberbürgermeisterin in Betracht. Die von der Beklagten vorgetragene Eindeutigkeit des Wortlauts des § 60 Abs. 2 Satz 1 HGO gelte nur bei direkter Anwendung. Weder Ansehen noch Arbeitsfähigkeit der Beklagten seien durch das Verhalten der Kläger gefährdet gewesen, denn die Übertragung der Sitzungsleitung auf den Altersvorsitzenden sei unbestritten möglich gewesen. Dass dieser selbst zu den Ausgeschlossenen gehört habe, zeige die Überzogenheit der Maßnahme. Erst der rechtmäßige Altersvorsitzende hätte die Rechte eines vorläufigen Stadtverordnetenvorstehers in Bezug auf Ordnungsmaßnahmen gehabt, denn seine Kompetenz zur Sitzungsleitung sei in § 57 Abs. 1 Satz 3 HGO ausdrücklich genannt. Die von der Beklagten vertretene Auffassung der weitgehenden Regelungs- und Leitungsbefugnisse der Oberbürgermeisterin würden durch die HGO nicht gedeckt.

Sinngemäß tragen die Kläger noch vor, die Wahlen seien unabhängig von dem Sitzungsausschluss rechtswidrig, weil die Vorlage einer vorläufigen Sitzordnung und die Abstimmung darüber rechtswidrig gewesen seien. Der Ausschluss sei darüber hinaus - auch wenn man ihn als bestandskräftig ansähe - nichtig, da er offensichtlich rechtswidrig sei, denn er verstoße eklatant gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Den am 2. Mai 1997 gestellten Eilantrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Fraktion der Republikaner mindestens einen Sitzplatz in der ersten Reihe zu überlassen, wobei sich die übrigen Plätze der Fraktion dahinter anschließen sollten, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. Juni 1997 - 7 G 1214/97 (V) - ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Juli 1997 - 6 TG 2558/97 - als unzulässig verworfen.

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Mappe) sowie die Akten des vorgenannten Eilverfahrens VG Frankfurt am Main 7 G 1214/97 (V) = Hess. VGH 6 TG 2558/97 (1 Heft) haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgenannten Unterlagen sowie auf die gewechselten Schriftsätze und den darüber hinausgehenden Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Zu entscheiden ist über die Berufung der Beklagten nur insoweit, als das Urteil die im Rubrum genannten Kläger zu 1. bis 5. betrifft. Zwar hat das Verwaltungsgericht mit dem am 28. Januar 2000 verkündeten Urteil laut Rubrum auch nur über die Klagen der im Rubrum genannten Kläger zu 1. bis 5. entschieden und nicht über die Klage des nach Klageerhebung, aber vor Verkündung des Urteils verstorbenen weiteren Klägers. Auch hat das Verwaltungsgericht erst nach Verkündung des Urteils vom 28. Januar 2000, nämlich mit Beschluss vom 1. Februar 2000, der allein von den Berufsrichtern der Kammer gefasst worden ist, das Verfahren dieses Klägers abgetrennt. Der Frage, welche prozessualen Konsequenzen diese erst nach Verkündung des Urteils vorgenommene Abtrennung haben könnte, braucht jedoch nicht nachgegangen zu werden, denn die Beklagte hat - wie sich dem von ihr im Zulassungsantrag vom 8. März 2000 und in der Berufungsschrift vom 14. April 2000 angegebenen Rubrum entnehmen lässt - sowohl den Zulassungsantrag als auch die Berufung auf die in erster Instanz erfolgreichen Kläger zu 1. bis 5. beschränkt, so dass auch nur insoweit über die Berufung zu entscheiden ist.

Die vom Senat mit Beschluss vom 20. März 2000 zugelassene Berufung ist auch begründet, denn die Wahlprüfungsklage hat keinen Erfolg.

Allerdings steht der Zulässigkeit der Klage der Klägerin zu 5. nicht entgegen, dass sie schon zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 10. Juni 1997 keine Stadtverordnete mehr war, sondern ihr Mandat niedergelegt hatte und das Amt einer Stadträtin bekleidete. Nach § 55 Abs. 6 Satz 1 Hessische Gemeindeordnung - HGO - kann jeder Gemeindevertreter innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses Widerspruch gegen die Gültigkeit von Wahlen, die von der Gemeindevertretung durchgeführt worden sind, erheben. Nach § 55 Abs. 6 Satz 2 HGO entscheidet über den Widerspruch die Gemeindevertretung. Nach Satz 3 der Vorschrift gelten für das weitere Verfahren die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Maßgabe, dass die Klage gegen die Gemeindevertretung zu richten ist. Schon der Wortlaut dieser Vorschriften deutet darauf hin, dass diejenigen, die die Wahl anfechten, nur im Zeitpunkt der Erhebung des Widerspruchs Gemeindevertreter/Stadtverordnete sein müssen, denn dass sie dieses Amt auch noch zur Zeit der Entscheidung über den Widerspruch oder während des nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung durchzuführenden Verwaltungsstreitverfahrens innehaben müssen, ist in § 55 Abs. 6 HGO nicht ausdrücklich geregelt. Aber auch aus dem Regelungszusammenhang sowie aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften lässt sich eine Notwendigkeit, auch zur Zeit der Widerspruchsentscheidung sowie während des Verwaltungsstreitverfahrens noch Gemeindevertreter/Stadtverordneter sein zu müssen, nicht folgern. Im Gegenteil ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich bei dem Wahlprüfungsverfahren um ein objektives Verfahren handelt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 28. Oktober 1986 - 2 UE 1919/85 - HSGZ 1987, 109 f.; Urteil vom 24. April 1992 - 6 UE 404/91 -, insoweit nicht abgedruckt in HSGZ 1992, 342; Urteil vom 9. Dezember 1993 - 6 UE 1720/92 - NVwZ-RR 1994, 605 f.), dass es genügt, wenn der die Klage anfechtende Gemeindevertreter/Stadtverordnete zur Zeit der Einlegung seines Widerspruchs Gemeindevertreter/Stadtverordneter ist. Der früher für das Kommunalrecht zuständige 2. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat darauf hingewiesen, dass es den Gemeindevertretern ermöglicht werden soll, gleichsam im öffentlichen Interesse darüber zu wachen, ob die von der Gemeindevertretung durchgeführten Wahlen ordnungsgemäß abgewickelt worden sind (Hess. VGH, Urteil vom 28. Oktober 1986, a.a.O.). Einer besonderen Klagebefugnis bedarf es daher nicht. Auf die mögliche Verletzung subjektiver Rechte der Kläger kommt es nicht an, weil § 55 Abs. 6 HGO den Mitgliedern der Vertretungskörperschaft ein objektives Beanstandungsrecht zubilligt (vgl. Hess. VGH, Urteile vom 9. Dezember 1993, a.a.O., Seite 606, vom 24. April 1992, a.a.O., S. 15 des amtlichen Umdrucks, und vom 4. Januar 1989 - 6 UE 530/87 - NVwZ-RR 1990, 208 f.). Ist das Recht, Widerspruch gegen die Gültigkeit von Wahlen zu erheben, dem einzelnen Gemeindevertreter aber in seiner Eigenschaft als Sachwalter der Allgemeinheit eingeräumt, kann es nicht erheblich sein, ob er nach Einlegung des Widerspruchs aus der Gemeindevertretung ausscheidet. Wollte man fordern, dass der Gemeindevertreter sein Amt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Wahlanfechtung innehat, liefe in vielen Fällen die gerichtliche Kontrolle leer, weil angesichts der Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren eine rechtskräftige Entscheidung häufig nicht getroffen werden könnte (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 28. Oktober 1986, a.a.O., S. 111).

Die Klage hat jedoch keinen Erfolg, denn die Wahlen des Stadtverordnetenvorstehers und des Präsidiums in der konstituierenden Sitzung der Beklagten vom 17. April 1997 sind gültig. Sie sind insbesondere nicht deshalb verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil die Kläger zu Unrecht durch die Oberbürgermeisterin von der konstituierenden Sitzung ausgeschlossen worden wären. Denn dieser Ausschluss ist wirksam, weil die Kläger nicht die ihnen durch § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO gewährte Möglichkeit genutzt haben, gegen den Ausschluss eine Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung herbeizuführen und diese Entscheidung spätestens in der nächsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung zu treffen ist (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGO). Deshalb kann unentschieden bleiben, ob die Oberbürgermeisterin zuständig und auch im Übrigen berechtigt war, in Anwendung von § 60 Abs. 2 Satz 1 HGO die Kläger wegen ungebührlichen Verhaltens von der konstituierenden Sitzung der Beklagten am 17. April 1997 auszuschließen.

Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 HGO kann der Vorsitzende der Gemeindevertretung bei ungebührlichem oder wiederholtem ordnungswidrigen Verhalten ein Mitglied der Gemeindevertretung für einen oder mehrere, höchstens drei Sitzungstage ausschließen. Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO kann gegen den Ausschluss die Entscheidung der Gemeindevertretung angerufen werden; diese ist spätestens in der nächsten Sitzung zu treffen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift erscheint es zunächst nicht völlig eindeutig, ob die Entscheidung der Gemeindevertretung in der nächsten Sitzung nach der Anrufung der Gemeindevertretung zu treffen ist oder ob mit der "nächsten Sitzung" die Sitzung gemeint ist, die dem Sitzungsausschluss nachfolgt. Sinn und Zweck der Vorschrift zwingen jedoch zu der letztgenannten Auslegung, denn andernfalls könnte während der gesamten Wahlperiode und sogar darüber hinaus immer wieder Streit darüber aufkommen, ob der Ausschluss wirksam war. Der Antrag an die Gemeindevertretung, die Rechtswidrigkeit des Sitzungsausschlusses festzustellen, könnte zeitlich unbegrenzt gestellt werden, so dass die zeitliche Eingrenzung im zweiten Halbsatz des § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO ("spätestens in der nächsten Sitzung") lediglich eine Zeitnähe der Entscheidung zu dem gestellten Antrag, nicht aber zu dem umstrittenen Sitzungsausschluss bewirken würde. Dann könnte während der gesamten Wahlperiode und darüber hinaus auch immer wieder Streit darüber aufkommen, ob bestimmte Verfahrenshandlungen - wie hier etwa die Wahlen des Stadtverordnetenvorstehers und des Präsidiums - wegen eines Sitzungsausschlusses unwirksam sind. Die zeitliche Ausdehnung derartiger Streitigkeiten könnte zu erheblichen Unsicherheiten in Bezug auf Maßnahmen von Funktionsträgern und Gremien führen. Dies sollte erkennbar mit dem zweiten Halbsatz des § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO verhindert werden.

Dafür, dass mit der "nächsten Sitzung" diejenige Sitzung gemeint ist, die dem Sitzungsausschluss nachfolgt, spricht auch ein Vergleich der zitierten Vorschrift mit entsprechenden Vorschriften anderer Bundesländer. Nach § 44 Abs. 2 der Niedersächsischen Gemeindeordnung - NGO - kann die Ratsvorsitzende oder der Ratsvorsitzende ein Ratsmitglied bei ungebührlichem oder wiederholt ordnungswidrigem Verhalten von der Sitzung ausschließen. Auf Antrag des ausgeschlossenen Mitgliedes stellt der Rat in seiner nächsten Sitzung fest, ob die getroffene Maßnahme berechtigt war. - Die insofern klarere Formulierung als in der hessischen Regelung ergibt, dass die Feststellungsentscheidung des Rats in der nächsten Sitzung nach dem Sitzungsausschluss getroffen wird.

Entsprechendes gilt für § 51 Abs. 3 Satz 2 der Nordrhein-Westfälischen Gemeindeordnung. Nach dieser Vorschrift befindet der Rat über die Berechtigung dieser Maßnahme - gemeint ist der sofortige Ausschluss eines Ratsmitgliedes aus der Sitzung - in der nächsten Sitzung.

Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der hessische Landesgesetzgeber - was den Begriff der "nächsten Sitzung" anlangt - etwas anderes regeln wollte als die Gesetzgeber der genannten anderen Bundesländer.

Nach allem ist der Ausschluss der Kläger von der konstituierenden Sitzung wirksam. Schon durch die gesetzliche Regelung des § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO selbst ist die Möglichkeit, in einem anderen Verfahren - wie etwa in dem vorliegenden Wahlprüfungsverfahren - die Rechtswidrigkeit des Ausschlusses geltend zu machen, versagt, wenn das Verfahren nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO nicht (erfolgreich) durchlaufen wurde. Dies ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber den Streit über den Ausschluss eines Gemeindevertreters/Stadtverordneten von einer Sitzung der Gemeindevertretung/ Stadtverordnetenversammlung auf das Verfahren nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO beschränkt hat. Insofern ist in § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO ein spezielles Verfahren vorgesehen, das hier nicht durchgeführt worden ist. Jedenfalls der Ausgeschlossene kann sich nicht mit Erfolg auf eine Fehlerhaftigkeit der Ausschlussentscheidung berufen, wenn er das vom Gesetz insoweit eröffnete Verfahren nicht genutzt hat. Wegen der ausdrücklich in § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO eröffneten Angriffsmöglichkeit steht der Umstand, dass das Wahlprüfungsverfahren nach § 55 Abs. 6 HGO ein objektives Prüfungsverfahren ist, das nicht der Durchsetzung subjektiver Rechte dient, den obigen Erwägungen nicht entgegen.

Die Kläger können sich nach allem nicht mit Erfolg darauf berufen, trotz einer auf § 60 Abs. 2 HGO beruhenden Wirksamkeit des Sitzungsausschlusses sei es möglich, im Rahmen der Wahlanfechtung inzident zu prüfen, ob der Sitzungsausschluss rechtmäßig und damit wirksam sei. Mit dieser Argumentation verkennen die Kläger auch den Zweck des § 60 Abs. 2 HGO. Er besteht darin, dass die Gemeindevertretung/ Stadtverordnetenversammlung in der nächsten Sitzung nach dem Ausschluss über dessen Wirksamkeit abschließend entscheiden soll. Könnte auch dann, wenn die Stadtverordnetenversammlung nicht angerufen worden ist, in anderen Verfahren die Unwirksamkeit des Sitzungsausschlusses geltend gemacht werden, müsste dies als Umgehung der in § 60 Abs. 2 HGO getroffenen Regelungen gesehen werden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eine derartige Umgehung für zulässig gehalten hat, zumal dann die in der zweiten Alternative des § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO geregelte Befristung überflüssig wäre.

Da das Verfahren nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO nicht genutzt wurde und nicht mehr genutzt werden kann, steht fest, dass der Ausschluss der Kläger von der konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung wirksam ist.

Dem können die Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Oberbürgermeisterin habe § 60 Abs. 2 HGO nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend angewandt, denn die Oberbürgermeisterin hat den Ausschluss ausdrücklich auf die genannte Vorschrift gestützt. Es musste und muss daher nach dem Verfahren vorgegangen werden, das das Gesetz in § 60 Abs. 2 HGO vorsieht.

Die Anrufung der Stadtverordnetenversammlung war den Klägern auch zumutbar. Es kann offen bleiben, ob ihnen angesichts der Ordnungskräfte vor dem Sitzungssaal zugemutet werden konnte, unmittelbar nach dem Sitzungsausschluss die Stadtverordnetenversammlung gegen den Ausschluss anzurufen. Jedenfalls hatten sie die Möglichkeit, diese Anrufung nach der Sitzung des 17. April 1997 bis zur nächsten Sitzung schriftlich vorzunehmen. Dem steht der Umstand, dass der Sitzungsausschluss laut Sitzungsprotokoll mit "Beifall" bedacht wurde, nicht entgegen. Denn es stand nicht fest, dass die Stadtverordnetenversammlung bei ruhiger Überlegung und unter Abwägung der von den Klägern gegen eine Rechtmäßigkeit ihres Ausschlusses vorgetragenen Gründe den Ausschluss aufrechterhalten hätte. Wie die Stadtverordnetenversammlung insoweit entschieden hätte, erscheint offen.

Entgegen der Auffassung der Kläger wird die auf § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO beruhende endgültige Wirksamkeit des Sitzungsausschlusses nicht dadurch beseitigt, dass - so die Kläger sinngemäß - es vor der Wahl des Stadtverordnetenvorstehers für die Kläger keine Möglichkeit mehr gegeben habe, eine Korrektur der Entscheidung der Oberbürgermeisterin herbeizuführen. Warum die Wirkung des § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO dadurch entfallen soll, dass zunächst nach dem Ausschluss Wahlen durchgeführt werden und erst später - gegebenenfalls auch im Gerichtsverfahren - die Wirksamkeit des Ausschlusses überprüft wird, ist nicht nachvollziehbar. Hätten die Kläger bis zur nächsten Sitzung der Beklagten - zum Beispiel schriftlich - den Ausschluss angegriffen, so hätte die Beklagte und gegebenenfalls später die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch über den Ausschluss befinden können und müssen.

Die angegriffenen Wahlen sind auch nicht deshalb ungültig, weil der Ausschluss der Kläger von der konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung nichtig und damit unwirksam wäre. Hier kommt eine Nichtigkeit nach § 44 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - HVwVfG - nicht in Betracht, weil der Ausschluss kein Verwaltungsakt ist. Auch sonstige Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass jede öffentlich-rechtliche Maßnahme nichtig ist, soweit sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (vgl. insoweit zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts die in § 44 Abs. 1 HVwVfG getroffene Regelung). Aber auch unter diesen Voraussetzungen ist hier der Sitzungsausschluss der Kläger nicht nichtig. Nichtigkeit kommt hier allenfalls deshalb in Betracht, weil die Oberbürgermeisterin zur Ausschlussentscheidung unzuständig gewesen sein könnte. Dies könnte aus folgenden Gründen der Fall gewesen sein: Die Oberbürgermeisterin lädt zwar zur ersten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung (§ 56 Abs. 2 HGO), eröffnet die Sitzung und leitet sie auch bis zur Feststellung des an Jahren ältesten Mitglieds der Stadtverordnetenversammlung, was einer Zusammenschau der in § 57 Abs. 1 Satz 3 und § 58 Abs. 4 Satz 1 HGO getroffenen Regelungen entnommen werden kann. Auf den ersten Blick nicht eindeutig zu beantworten ist jedoch die Frage, ob die Oberbürgermeisterin vor der Feststellung des ältesten Mitglieds der Stadtverordnetenversammlung berechtigt war, eine vorläufige Sitzordnung festzulegen und durchzusetzen sowie in diesem Zusammenhang die Kläger wegen ungebührlichen Verhaltens gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 HGO für den 17. April 1997 von der Sitzung auszuschließen. Diese Rechtsfragen sind nicht ohne Weiteres eindeutig in der einen oder anderen Richtung zu beantworten. Auch ist nicht eindeutig in der einen oder anderen Richtung zu beantworten, ob der Sitzungsausschluss gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen hat. Geht man davon aus, dass die Oberbürgermeisterin zuständig war, den Ausschluss anzuordnen, und unterstellt man weiter, dass die Weigerung der Kläger, den Sitzungsraum zu verlassen, als ungebührliches Verhalten im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 1 HGO gewertet werden durfte, so ist keinesfalls auf den ersten Blick deutlich, dass der Sitzungsausschluss außer Verhältnis zur Schwere des ungebührlichen Verhaltens gestanden hat. Nach allem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausschlussentscheidung bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig rechtswidrig war oder gar an einem besonders schwerwiegenden Fehler litt. Nach allem ist der Ausschluss nicht nichtig.

Die angegriffenen Wahlen sind auch im Übrigen gültig. Es kommt keine andere Maßnahme als der Sitzungsausschluss als Grund für eine Ungültigkeit der angegriffenen Wahlen in Frage. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum die von den Klägern insofern genannte Vorlage einer vorläufigen Sitzordnung durch die Oberbürgermeisterin sowie die Abstimmung über diese Sitzordnung, selbst wenn diese Maßnahmen verfahrensfehlerhaft gewesen sein sollten, sich auf die Gültigkeit der Wahlen des Stadtverordnetenvorstehers und des übrigen Präsidiums der Beklagten ausgewirkt haben können. Eine fehlerhafte Sitzordnung und die Abstimmung über die Sitzordnung machen Wahlakte, die von den an falschen Plätzen sitzenden Abgeordneten durchgeführt werden, nicht ungültig, denn der in einer auf diese Weise zustandegekommenen fehlerhaften Sitzordnung liegende Rechtsverstoß bezieht sich nicht auf das Wahlverfahren. Es handelt sich um keinen bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl wesentlichen Fehler (vgl. zu diesen Voraussetzungen Hess. VGH, Urteil vom 4. Januar 1989, a.a.O., Seite 209). Auch darüber hinaus haben die Kläger keine Verfahrensfehler vorgetragen, die bei Wirksamkeit des Sitzungsausschlusses zu einer Ungültigkeit der genannten Wahlen führen müssten. Dies gilt insbesondere für die Auffassung der Kläger, unmittelbar nach Eröffnung der Sitzung hätte der Alterspräsident bestimmt werden müssen, was zur Folge gehabt hätte, dass insofern nicht Frau F., sondern der Kläger zu 4. zum Zuge gekommen wäre. Gerade dieser Einwand wird dadurch entkräftet, dass der Sitzungsausschluss wegen der in dem zweiten Halbsatz des § 60 Abs. 2 Satz 2 HGO getroffenen Regelung wirksam und nicht mehr angreifbar ist. Denn durch den wirksamen Sitzungsausschluss wurde auch der Kläger zu 4. wirksam von der konstituierenden Sitzung ausgeschlossen.

Nach allem ist der Berufung der Beklagten stattzugeben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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